Osnabrück, 10.09.2021
Text von Frau Dr. Tauss
Erstmaliger Doppellandschaftstag 2020/2021 in Sankt Marien
Unter den gotischen Gewölben von St. Marien in Osnabrück fand am 9. September eine denkwürdige Veranstaltung des Landschaftsverbandes Osnabrücker Land e. V. (LVO) statt: So wurde nicht nur der jeweils mit 5.000 Euro dotierte Kunst- und der Kulturpreis vergeben, sondern auch gleich zweimal eine Auszeichnung. Hintergrund war der pandemiebedingte Ausfall des Landschaftstages 2020. Als Preisträger geehrt wurden der Osnabrücker Künstler Volker-Johannes Trieb (Kunstpreis 2020) und der Verein Lechtinger Mühle e. V. (Kulturpreis). Die beiden Auszeichnungen gingen an Bernhard Lanfer und Freddy Fenkes vom VfL-Museum sowie an den Kulturanreger Reinhart Richter. Umspielt wurde all dies nicht nur von hochkarätiger Musik, sondern auch vom Besuch des 300jährigen Justus Möser, verkörpert von Magnus Heithoff.
Bach’sche Gitarrenklänge erfüllten den Raum und so manchen Gast der Veranstaltung mit Wohlgefühl – denn wer wollte, konnte den Landschaftstag auch als ‚Konzert‘ genießen, das dem coronabedingten Kulturhunger auf beste Weise Nahrung gab. Leonhard Bökenkamp, spezialisiert auf klassische Gitarre, gab der von vielen Reden und Dialogen durchzogenen Veranstaltung einen melodisch-rhythmischen Atem. Doch nachdem Superintendent Dr. Joachim Jeska für die Kirchengemeinde St. Marien alle circa 160 Gäste herzlich willkommen geheißen hatte, stattete zunächst der zeitreisende Justus Möser der Festgesellschaft einen Besuch ab. Noch verwirrt von seiner Ankunft in einem stark veränderten Osnabrück, konnte ihm LVO-Geschäftsführerin Dr. Susanne Tauss zur ersten Orientierung verhelfen. In spielerischer Weise war zu erfahren, wie stark Osnabrück seit Mösers Zeit gewachsen ist, dass Möser energisch dem Spott des Herrn Voltaire „und Konsorten“ entgegentrat, wenn es galt, das vermeintlich bildungsferne Westfalen zu verteidigen, aber auch dass Möser bereits von Zeitgenossen wie Goethe und Herder geschätzt wurde. Daran, dass heute eine Landrätin in der Region das Sagen hat und eine Rede zu dieser Festveranstaltung sprechen würde, hatte Herr Möser jedoch schwer zu schlucken.
In ihrer Begrüßungsrede nahm Landrätin Anna Kebschull als LVO-Präsidentin augenzwinkernd auf das Möser‘sche Rollenverständnis Bezug, um dann auf das stark dezimierte Möser-Programm zum 300. Geburtstag des Jubilars einzugehen, das in 2021 aber immerhin mit einigen Veranstaltungen aufwartet (justus-moeser-2020.de). Sehr ernst wurde Kebschull allerdings angesichts der noch weitaus größeren Probleme, mit denen sich die Kulturszene – insbesondere die Freischaffenden – durch die Pandemie noch immer konfrontiert sieht: So habe der wiederholte Lockdown „Kulturschaffende ans Hungertuch“ gebracht. Kultur brauche „eine weitaus größere Lobby als bisher“ – daran hätten auch die Hilfsprogramme nur bedingt etwas geändert. Zwar habe selbstverständlich auch der Landschaftsverband die Kulturszene, im engen Zusammenspiel mit dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, in mehreren Hilfsprogrammen tatkräftig unterstützt. Doch sei dies vielfach nur ein Tropfen auf den heißen Stein, so Kebschull. Hier gebe es noch immer viel zu tun.
Leicht skeptische Töne durchwebten, bei aller heiteren Grundstimmung, auch die folgenden Dialoge des Justizrats Möser mit seiner Gesprächspartnerin Tauss – sei es zur Frage nach Fortschritt und Ressourcenmanagement oder nach dem Wandel der Moden. Durch den Spiegel von Mösers Zeit erscheint heutiges Denken und Verhalten in neuem Licht und lässt sich durchaus hinterfragen.
Den Reigen der Preisvergaben eröffnete die Laudatio von Dr. Ralf Waldschmidt auf den Osnabrücker Künstler Volker-Johannes Trieb. Der bis vor kurzem in Osnabrück tätige Intendant des hiesigen Theaters stieg mit dem Begriff des „Zaubergartens“ in seine Rede ein: Was Trieb dort in der „freien Republik Iktomia“ geschaffen habe, sei „ein einzigartiges Kunstwerk“, so Waldschmidt. Er spiele zugleich ein Statement durch: Es sei nicht nur Kunst für die Menschen, sondern auch Kunst mit den Menschen. Dies habe der Künstler exemplarisch anlässlich 2000 Jahren Varusschlacht besonders unter Beweis gestellt, als er mit „Feldzeichen zu Friedenszeichen“ circa 20.000 Menschen mobilisiert habe. Die Grausamkeit des Krieges und damit verbundene Themen bewegen Volker-Johannes Trieb, der den Mut habe, brisante Themen anzupacken. Besonders beeindruckt zeigte sich Waldschmidt angesichts des internationalen Projektes „Not then, not now, not ever!“ anlässlich 100 Jahre Erster Weltkrieg. Als Movens und Wirkungsabsicht zugleich stehe die Hoffnung im Zentrum von Volker-Johannes Triebs vielfältigem künstlerisch-kuratorischen Tun. Der LVO setzt mit dem Kunstpreis 2020 „ein deutliches Zeichen der Anerkennung und des Dankes“ dafür. Und der Künstler wäre nicht er, hätte er nicht auch in seinen Dankesworten seine Sorgen anlässlich von Krieg, Hass und Zerstörung formuliert: Was derzeit mit Afghanistan geschehe, sei nicht nur beängstigend, sondern auch beschämend. Langanhaltender Beifall unterstrich sowohl die Würdigung als auch das Statement des Künstlers.
Den Sperrmüllfund einer Ehrenurkunde von 1899 nannte der nachfolgende Laudator und Direktor des Diözesanmuseums Osnabrück, Dr. Hermann Queckenstedt, als Initialzündung für das engagierte Tun von Freddy Fenkes und Bernhard Lanfer: Das bedeutsame Unikat, das während der Festveranstaltung auf einer Staffelei ausgestellt war, gab den Anstoß zur Gründung des VfL-Museums, für das die beiden Akteure inzwischen eine ansehnliche Sammlung zusammengetragen haben. Wie Queckenstedt ausführte, eröffnen die hier präsentierten Stücke tiefe Einblicke in die Sportgeschichte Osnabrücks. Zudem haben sich Fenkes und Lanfer für Stadionführungen stark gemacht, ein Bündnis gegen das Vergessen initiiert und für ihre antirassistische und antidiskriminierende Vermittlungsarbeit den renommierten Julius-Hirsch-Preis erhalten. Ihr wegweisendes Engagement gegen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie sei beispielhaft und verdiene höchsten Respekt. Dies könne auch Vorbild sein für andere große Sportvereine in Osnabrück, so Queckenstedt. Würdigend setzt der LVO mit seiner Auszeichnung „ein deutliches Zeichen der Anerkennung und des Dankes für das vielseitige gesellschaftliche Engagement des VfL-Museums.“
Einen ähnlichen Einstieg wie Queckenstedt nahm Diplom-Ingenieurin und Denkmalspezialistin Wiebke Dreeßen in ihre Laudatio auf den Verein Windmühle Lechtingen e. V.: Hier wie da stemmten sich engagierte Bürger:innen gegen den drohenden Verlust eines wichtigen Kulturguts. So ist es vier Bürgern aus Wallenhorst zu verdanken, dass die zu Beginn der 1980er Jahre nur noch als Torso existierende Lechtinger Windmühle nicht dem Erdboden gleich gemacht wurde. Mit Gründung des Vereins entstand einer der ersten Mühlenvereine in Niedersachsen überhaupt. Nur fünf Jahre dauerte die denkmalgerechte Restaurierung, so dass sich 1986 wieder die Flügel im Wind drehten. Lobende Worte fand Dreeßen auch für die vorbildliche Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit des Vereins, der zudem 1984 den Impuls für den bundesweiten Mühlentag jährlich am Pfingstmontag gab. Dass zugleich die zugehörige Motormühle mustergültig restauriert wurde, verstärkt noch den Respekt vor dem sensiblen Umgang des Vereins mit der Mühlenkultur in Lechtingen. Der Urkundentext zum Kulturpreis 2021 bringt es auf den Punkt: „Es ist dem Verein Windmühle Lechtingen e. V. gelungen, ehrenamtlich mit Enthusiasmus und großem Knowhow eine Mühlenruine als voll funktionstüchtige Turmholländer-Windmühle – einschließlich der benachbarten Motormühle – wiedererstehen zu lassen.“ Dass dieses Engagement auch auf Zukunft hin nicht ermüden wird, belegte der bei der Preisvergabe anwesende Vereinsnachwuchs.
Als „kulturpolitischen Überzeugungstäter“ bezeichnete der Künstler und ehemals stellvertretende Kunstschulleiter Manfred Blieffert den Träger der Auszeichnung 2021, Reinhart Richter. Aus den von ihm verfassten Kulturentwicklungsplänen könne man noch immer mit Gewinn schöpfen. Richter, der sich vielfach in der Osnabrücker Bürger:innen-Gesellschaft engagiert und sich unermüdlich mit kulturpolitischen Impulsen einbringt, sei nicht nur ein „Vordenker“, sondern auch ein „Macher“, der zudem die Gabe besäße, Menschen zusammenzuführen. Seine Tatkraft zeige sich beispielhaft in identitätsstiftenden Initiativen für die Stadtgesellschaft oder auch für den künstlerischen Nachwuchs. Er sei ein Macher mit Zukunftsvisionen, der nur so vor Ideen zum Wohle der Osnabrücker Kultur sprudle. Als „deutliches Zeichen der Anerkennung und des Dankes für Reinhart Richters Engagement für die Bereicherung der Osnabrücker Kultur“ sieht daher auch der Landschaftsverband die Vergabe der Auszeichnung. Und natürlich waren auch die Dankesworte des Geehrten ein kulturpolitisches Statement: Der Schub, den die Finanzausstattung für die Kultur in Krisenzeiten erfahren habe, verdiene eine Fortsetzung, so Richter. Anhaltender Beifall und sogar Standing Ovations dankten es ihm.
In ihren abschließenden Worten zeigte sich Landrätin Kebschull beeindruckt von der Breite des kulturellen Engagements in der Region, das angesichts dieser ausgesprochen verschiedenen und jeweils mit großem Herzblut betriebenen Aktivitäten der Preisträger sichtbar werde. Dies sei ein ermutigendes Zeichen. Sie sprach ihren großen Dank an die hoch verdienten Persönlichkeiten und Initiativen aus, in deren Tun anlässlich des Landschaftstages wichtige Einblicke genommen werden konnten.
Am Ende des Doppel-Landschaftstages gab es eine ganze Reihe zufriedener Gesichter: Freddy Fenkes (VfL-Museum), Volker-Johannes Trieb, Bernhard Lanfer (VfL-Museum) und Reinhart Richter in der vorderen Reihe; hinten Thomas Hardinghaus, Franz-Josef Albers, Ansgar Vennemannund Stefan Hardinghaus vom Verein Windmühle Lechtingen.
Fotos: Hermann Pentermann