Wiebke Dreeßen, Dipl.-Ing., Feldstraße 7, 25709 Marne
Landschaftstag 2020/2021 des Landschaftsverbands Osnabrücker Land e.V.
9. September 2021 in Osnabrück, St. Marien
„Mühlen können teuer sein — Verfall oder Erhaltung?“
so lautete, meine verehrten Damen und Herren, liebe Mühlenfreunde, eine Überschrift in der NOZ im Dezember 1984.
Mühlen sind ein bedeutender Teil unserer Kulturgeschichte. Zweitausend Jahre Technikgeschichte und die Durchdringung nahezu aller wirtschaftlichen Bereiche durch Mühlentechnologie über Jahrhunderte hinweg machen den Stellenwert der Mühlen als eine der wichtigsten Erfindungen der Menschheit deutlich.
Obwohl es über die Zeiten immer Veränderungen und Verluste im Bestand der Mühlen gegeben hatte, ist allein in Niedersachsen zwischen 1960 und 1990 die Anzahl der historischen Wind- und Wassermühlen um ca. 37% zurückgegangen.
Vor der Frage „Verfall oder Erhaltung“ stand Anfang der 1980er Jahre auch das weitere Schicksal der Windmühle in Lechtingen.
Weithin als Landmarke sichtbar, bot der ruinöse Windmühlenstumpf ohne Kappe und Flügel ein klägliches Bild und wäre mit ziemlicher
Sicherheit dem kompletten Untergang geweiht gewesen, wenn nicht vier engagierte Lechtinger Bürger, die Herren Grieger, Jünemann, Rölker und Vennemann, die seit Jahren den fortschreitenden Verfall der Mühle beobachtet hatten, im April 1982 beschlossen hätten, „die Sache anzupacken“ wie es in der Chronik von 1987 heißt.
Nach ersten positiven Gesprächen mit der Eigentümerin der Mühle stießen vorsichtige Anfragen bei der Gemeindeverwaltung in Wallenhorst zwecksfinanzieller Unterstützung auf großes Unverständnis. Es solle doch lieber ein Schieber bestellt werden, um das unnütze Gebäude einzuebnen.
Trotz dieser wenig ermutigenden Aussage blieben die Herren bei ihrem Entschluss, einigten sich mit der Eigentümerin über einen symbolischen Pachtpreis und gründeten am 13. Juli 1982 den Verein „Lechtinger Windmühle e.V.“
Bauherr der Mühle war Johann Rudolf Pagenstecher, seit 1831 Bergmeister am nahegelegenen Kohlebergwerk Piesberg, das er in knapp 50 Jahren zu einem wichtigen Industriebetrieb des Osnabrücker Landes ausbaute.
1887 im Alter von 78 Jahren ließ er in Lechtingen, wo er einen Vollerbenhof erworben hatte, eine aus Bruchstein gemauerte
Turmholländermühle zum Wasserheben für die Bewässerung seiner Ackerflächen und zum Kornmahlen für die Arbeiter am Piesberg und die umliegende Bevölkerung errichten, nicht um sie selbst zu betreiben, sondern um sie zu verpachten. Ob die Bewässerung in Betrieb
genommen wurde, ist unklar. Als halber sog. Erdholländer und halber Galerieholländer ist die Mühle zudem ein Unikum.
Wie viele Mühlen ging auch die Lechtinger Mühle durch Verkauf und Verpachtung durch mehrere Hände. Eine um 1900 zusätzlich gebaute Motormühle, angetrieben von einem Dampfkessel, brannte 1919 vollständig aus, wurde aber wiederaufgebaut, 1938/39 erweitert und um ein Stockwerk erhöht sowie für den Antrieb mit einem Diesel- und einem Elektromotor ausgestattet. Die Windmühle verlor um 1920 bei einem Orkan die Kappe mit den Flügeln und diente nur noch als Lagerraum. In den Kriegsjahren Beobachtungsposten für die Flak, entging der Mühlenturm Ende des2. Weltkrieges nur knappeiner Sprengung durch ein deutsches Volkssturmkommando.
Bis 1964 wurde in der Motormühle Getreide gemahlen, zuletzt bis 1970 nur noch ein Landhandel betrieben. Die gesamte technische Ausstattung der stillgelegten Motormühle blieb jedoch erhalten, da der letzte Müller auf die staatliche Stilllegungsprämie verzichtet hatte. Die Windmühle verfiel.
Entsprach nun die Absicht des Lechtinger Mühlenvereins, die heruntergekommene Mühle zu restaurieren, nur einem Trend der Zeit?
In dem Zeitungsartikel von 1984 heißt es: „Mühlen sind Mode. Wo ein lahmer Flügel im Winde klappert oder ein Wasserrad am Bach verrottet, dort gibt es in der Regel mittlerweile auch einen Verein, der sich vehementfür die Erhaltung und Restaurierung der Gebäude und
technischen Innereien einsetzt. Das hat mit dem allgemein wachsenden Sinn für die Denkmalpflege ebenso zu tun wie mit Mühlenromantik und dem alternativen Traum vom wind- oder wassergemahlenen Mehl.“
Die Lechtinger folgten dem Trend der Zeit, aber fast 40 Jahre nach Vereinsgründung kann man heute sagen: Es war bei ihnen keine kurzlebige Modeerscheinung!
Sie gründeten im Osnabrücker Land einen der ersten Mühlenvereine und ließen sich weder von der Größe des Vorhabens mit allen technischen Herausforderungen noch von den Schwierigkeiten einer überwiegend durch Zuwendungen, Spenden und enorme Eigenleistungen zu realisierenden Finanzierung abschrecken. Sie packten mit großem Engagement, viel Mut, Tatkraft, Überzeugung, Beharrlichkeit, Entschlossenheit und Ausdauer die denkmalgerechte Restaurierung an und zogen sie vor allem konsequent innerhalb von knapp fünf Jahren durch, um für den Ort und die Region ein wichtiges Stück historischer Kultur zu erhalten und mit Leben zu füllen.
Zur Freude aller drehten sich im August 1986 wieder Flügel im Wind und nach Vervollständigung der mühlentechnischen Inneneinrichtung, die aus einer Mühle in Bassum erworben wurde, war im April 1937 die Mühle wieder komplett und funktionstüchtig.
Doch damit gaben sich die ehrenamtlich tätigen Vereinsmitglieder nicht zufrieden. Schon frühzeitig wurde bei entscheidenden Restaurierungsschritten die Öffentlichkeit einbezogen.
Aus dem ersten Tag der offenen Tür am Pfingstmontag 1984 mit großem Besucherandrang entwickelte sich Deutschland weit der inzwischen zur Tradition gewordene Deutsche Mühlentag.
Eine besondere Auszeichnung für die jahrelange Arbeit des Vereins und seine gute Vernetzung mit anderen Akteuren auf dem Gebiet historischer Mühlen war 2018 die bundesweite Eröffnung des Mühlentagesin Lechtingen.
Mit der Eintragung des Müllerhandwerks in das Verzeichnis des immateriellen Kulturgutes würdigt auch die Deutsche UNESCOKommission seit 2018 den Kulturpflegeansatz, der u.a. durch engagierte Vereine wie in Lechtingen wahrgenommen wird.
Regelmäßige wöchentliche Mahltage mit Vorführungen und Erläuterungen, ein kleiner Laden für den Verkauf von gemahlenem Korn,
Führungen von Reisegruppen, bei denen insbesondere Kinder angesprochen werden, für die die Mühle ein faszinierendeslehrreiches
Ausflugsziel darstellt, werden neben der erforderlichen Wartung der Mühle von den Hobbymüllern des Vereins organisiert und
wahrgenommen. Großen Anklang findet auch der immer im September veranstaltete Mühlenmarkt.
Die weiteren Aktivitäten des rührigen Vereins richteten sich darüber hinaus schon früh auch auf die Sanierung der Motormühle mit ihrer
erhaltenen technischen Einrichtung, die für den Wandel im Mühlenwesen in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts steht. Mit viel Mühe, hohen Kosten und unermüdlichem Einsatz ist auch dieses Projekt in den vergangenen Jahren vorbildlich realisiert worden. Insbesonderedie alten Motoren wurden mit großer Leidenschaft restauriert.
Das Osnabrücker Land und die Gemeinde Wallenhorst, die seit 2008 Eigentümerin der Mühle ist, können stolz und dankbar sein, dass es
diesen hochengagierten Verein gibt. Es ist sein Verdienst, dass diese Mühle als eine der vier noch funktionstüchtigen Windmühlen im
Landkreis Osnabrück erhalten geblieben ist. Ich hoffe, dass ihm alle Unterstützung weiterhin gewährt wird, um dieses Denkmal als wertvolles Kulturgut zu bewahren. Dazu gehört auch die einzigartige freie Lage in der Landschaft, für die der Verein vehement gekämpft hat, als die umliegenden Flächen zu Bauland werden sollten.
Ich ermutige Sie ganz herzlich, liebe Lechtinger Mühlenfreunde, in ihren vielfältigen Bemühungen um den weiteren Erhalt dieses Kulturgutes nicht nachzulassen, denn in einer zunehmend digitalen und virtuellen Welt stellt unser gebautes Kulturerbe etwas Reales, Handfestes dar, an dem sich Menschen orientieren können, das ihnen vertraut ist und das für viele einen wichtigen Teil ihres Heimatgefühls ausmacht. Stellen Sie sich weiterhin mit vollem Einsatz und viel Kreativität dieser Aufgabe!
Energiegewinnung durch Windkraft! Wie vor langer Zeit auch heute im Zeichen des Klimawandels ein sehr aktuelles Thema!
Herzlichen Glückwunsch zum Kulturpreis 2021!
Es war eine sehr rührende Laudatio bei der Preisverleihung. Über den Preis haben wir uns sehr gefreut.